«Hier hören Sie Distango, das Lied über die grenzenlose Liebe an lieblosen Grenzen»
Impressionen aus dem
«Dehei-Life» Balkon-Open-Air
Köhlerweid, Stein am Rhein, 7. April 2020
Fotos Peter Spirig
Zischenmenschliches (sic):
Die Notwendigkeit, der Verbreitung des heimtückischen Virus, so gut es geht, Einhalt zu gebieten, wirft für unser alltägliches Verhalten zahlreiche, zum Teil auch ganz banale, aber dennoch tiefgreifende Fragen auf. Zumindest solange Gesichtsmasken nicht in ausreichender Zahl zur Verfügung stehen und in der Bevölkerung zur Anwendung kommen, stellt sich da unter anderem die Frage nach unseren zwischenmenschlichen Begrüssungsritualen. Nachdem alle Rituale, welche mit Körperkontakt verbunden sind, wegen der Distanzregeln ohnehin entfallen, bedarf hier insbesondere das tiefverwurzelte Grüssen im Vorbeigehen einer eingehenden sprachepidemologischen Betrachtung: Soll ich im Vorbeigehen die ihrerseits an mir Vorübergehenden oder die an meinem «Wegrand» Stehenden überhaupt noch grüssen, beispielsweise auf einem Trottoir, wo der gebotene 2m – Abstand im Kreuzungszeitpunkt für rund 2 – 3 Sekunden nicht eingehalten werden kann (es sei denn mit riskanten Ausfallschritten auf die Strasse)? Oder soll ich grusslos oder nur verlegen dümmlich nickend an der betreffenden Person vorbeispazieren? Wenn man bedenkt, dass unsere Grussformeln zum grossen Teil aus potentiell virentransportierenden Zisch- oder Explosivlauten bestehen, hat diese Fragestellung durchaus ihre Berechtigung. Gerade das schweizweit am meisten verbreitete «Grüezi» ist trotz seiner scheinbar sprichwörtlichen Harmlosigkeit durchaus risikobehaftet, dies etwa im Gegensatz zum ebenfalls recht gängigen «Morgä», welches, mangels Zischlauten, eher als unbedenklich eingestuft werden kann. Äusserst bedenklich ist da jedoch die bundesdeutsche Minimalbegrüssung «Tach», enthält sie doch ein Outputpotential von beispielloser Wucht. Dem entsprechend gehe ich davon aus, dass das BAG wegen der risikoträchtigen Explosivlaute bis auf weiteres auch vom ansonsten harmlosen «Guete Tag» eher abrät. Lediglich das weiche baseldeutsche «gede Daag» mag da wohl als Light-Version noch durchgehen. Als sehr ungünstig erweist sich jedoch das berndeutsche «Grüessech», vor allem, wenn man bedenkt, dass ein echter Berner sich mit dem Gruss überhaupt und insbesondere auch mit dem zentralen Doppel-S reichlich Zeit lassen dürfte. Weniger Bedenken sind dagegen beim Ostschweizer «Hoi», beim deutschen «Hallooo» oder beim amerikanischen «Hi» angesagt, vorausgesetzt natürlich, dass das H nicht gehustet wird. Outputmässig ebenfalls eher als harmlos ist «good morning» einzustufen, ebenso das deutsche «Moain». Schon eher problematisch erscheint indessen das scheinbar arglos daherkommende «good afternoon» Das unscheinbare «ft» ist für Viren ein geradezu ideales Transportmedium.
Natürlich kommt es bei den Zisch-und Explosivlaut-Risiken, wie überall, immer auch auf die konkreten Begleitumstände an: Wenn ich z.B. auf dem schmalen Steg zum Inseli Werd (bei Stein am Rhein) einem Mönch begegne, der mich mit einem herzhaften «Grüessgott» (doppelter Output) begrüsst, dann versuche ich (leider mit begrenztem Erfolg) meine paranoiden Ängste über seine allfällige Seelsorgetätigkeit im Dienste infizierter Schwerkranker geflissentlich zu verscheuchen. Auch wenn mir z.B. ein Hundehalter (mit Hund) im Vorbeigehen entgegenruft «Är macht nüt …., är wott nume spilä!», bin ich bereits wieder einer Serie von klassischen Outputsilben ausgesetzt, und wenn der arglose «Hündeler» den Hund mit «Fuss» oder «Mach Platz» oder gar «Pfui» disziplinieren will, ist mir angesichts der weiträumig wirkenden Zisch- und Explosivlaute nicht wirklich gedient. Eine besonders heimtückische Virenschleuder ist sodann – gerade in der Dunkelheit – das ansonsten sympathische «buona notte», vor allem dann, wenn es mit deutschem Akzent ausgesprochen wird. Noch outputträchtiger ist allerdings das von einem unerbittlichen Integrationseffort geradezu sprühende «Grüzzi». Vom Sprech-Output her virologisch äusserst ungünstig sind schliesslich – ich bedaure, dies erwähnen zu müssen – fast alle in unserer physischen Welt stattfindenden Gottesdienste. Nicht zuletzt auch im Hinblick auf die einzigartige Massierung von Zisch-, Knack-, Kratz- und Explosiv-Lauten in der österlichen Heilsbotschaft hat der Bundesrat denn auch die Abhaltung von realen Offline-Gottesdiensten gerade noch rechtzeitig untersagt. Man stelle sich vor, dass in tausenden von Kirchen die Pfarrer/innen ihren Gemeindegliedern verkünden: «Jauchzet und frohlocket, denn Christus, Gottes Sohn, ist wahrhaftig (ft…) am dritten Tag von den Toten auferstanden! - Lasset uns preisen ohne Unterlass unseren starken Retter von Ewigkeit zu Ewigkeit!» Eine solche oder ähnlich geballte Ladung von frohlockenden Output-Silben (hier immerhin 32), womöglich sogar noch von der Kanzel herab, wäre wohl definitiv zu riskant gewesen, deshalb: Frohlockdown.
Ch. B 15.4.2020